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16 Horsepower - «Black Soul Choir»

SOTW #14-2008

Mit akustischen Pferdestärken gegen den Teufel

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Nun, eigentlich wollte ich ja über den 1. Mai in Zürich schreiben und dass in seiner diesjährigen Begehung zum genau achtzigsten Mal die rote Fahne gehisst werden wird. 1928, im ersten Jahr einer Dekade, die als das "rote Zürich" in die Geschichtsbücher der Stadt eingehen sollte, ist dies nämlich zum ersten Mal passiert. Statt einer kleinen Stadthistorie und «Here's to you» von Joan Baez und Ennio Morricone gibt's jedoch aus aktuellem Anlass ein Alternativprogramm. Genau genommen aus mehreren aktuellen Anlässen. Denn am Freitag habe ich mir das soeben erschienene Album «Live March 2001» von 16 Horsepower bestellt und bin somit seither in freudiger Erwartung! Dazu habe ich am selben Tag die tolle Musikzeitung Loop gelesen, die in diesem Monat viele Beiträge über Konzertbesuche und Live-Aufnahmen enthält und den viel sagenden Titel "Rampenlicht" trägt. Klar, dass sich ein Beitrag über diese neue Scheibe mit einem Pferd drauf regelrecht aufzwang.

"Live 2001 und das kommt erst jetzt raus?" werdet ihr nun vielleicht fragen, womit wir schon bei einem zentralen Punkt beim kennen lernen von 16 Horsepower wären: Die Band existiert nämlich gar nicht mehr. Aufgelöst 2005, wobei es zuvor bereits gebröckelt hatte. Der Grund: der Bassist (Pascal Humbert) und der Drummer (Jean-Yves Tola) konnten die religiösen Texte des Sängers/Gitarristen/Banjo- und Konzertina-Bedieners (David Eugene Edwards) nicht mehr ertragen. Kein Scheiss. Die drei Musiker sind zwar noch immer gute Freunde, haben sich aber mit Lilium (Tola/Humbert) und Woven Hand (Edwards) in zwei verschiedene Bands und inhaltliche Richtungen aufgeteilt.

Ich habe es zwar geschafft, Woven Hand zweimal live zu erleben, aber für einen Auftritt von 16HP war ich leider zu spät dran. Aus diesem Grund ist das Erscheinen dieser Live-Scheibe zum jetzigen Zeitpunkt natürlich umso spektakulärer. Allerdings, so viel toller als ein Woven Hand Konzert kann das auch nicht gewesen sein, denn diejenigen, die ich gesehen habe, waren beide absolut unerhört sensationell ergreifend und mitreissend. Besonders das erste. Das fand im Café Zapata im Tachelesgebäude an der Oranienburgerstrasse zu Berlin statt. Wir waren schon früh da und sassen hinten im Garten. Als wir hörten, dass drinnen der Soundcheck losging, setzten wir uns an einen Tisch gleich vor der Bühne und hörten gebannt zu, während rund um uns damit begonnen wurde, den Saal von Tischen, Stühlen und Cafébesuchern zu befreien. Auch wir wurden gebeten zu gehen, was wir mit dem raschen Zücken unserer Eintrittskarten und einem wissenden Nicken konterten. Wir durften sitzen bleiben. (Viel zu) Bald war der Soundcheck fertig und die Band verliess die Bühne, während die ersten Gäste rein kamen und das Lokal langsam wieder füllten. Schliesslich gingen die Lichter aus und die aus drei Mann bestehende Band legte los. Und wir gleich bei der Bühne, praktisch Angesicht zu Angesicht mit David Eugene Edwards. Er sass während dem ganzen Konzert, spielte Gitarre und manchmal Banjo (dazu später mehr), sang ins normale Mikro, sang ins Elvis-Mikro und litt grauenhaft. Litt für jeden einzelnen Ton, jedes einzelne Wort. Seine Augen waren meist geschlossen und es schien, als würde er das Publikum gar nicht wahrnehmen und ganz mit der Musik und seinen anklagenden, meist von Schuld, Sühne und (un)gerechtfertigter Gnade handelnden Texten, die er sang, flüsterte und hin und wieder auch richtiggehend schrie, fortschwimmen. Ab und zu jedoch öffnete er die Augen und sah die Zuhörer mit durchdringendem, aber dennoch weit abwesend scheinendem Blick an. Langsam schwenkte er diesen Blick jeweils in die Runde, als wolle er sich vergewissern, ob seine Botschaft angekommen ist. Dieser Mann gab wirklich alles.

Etwa dreimal verliessen die beiden Begleitmusiker während dem Konzert die Bühne und der Frontmann blieb alleine auf dieser zurück und schnappte sich das Banjo (jetzt hier mehr dazu). Diese Prozession bedeutete jeweils: nun folgt ein 16HP-Stück. Und eins dieser Stücke, genauer genommen das letzte, das an diesem denkwürdigen Abend dargeboten wurde, war «Black Soul Choir». Hundertfach hatten wir uns dieses Lied, das von der ersten, wahnwitzig genialen Platte der Band stammt, in diesem Frühling damals angehört und dabei nicht gewusst, dass wir in einigen Wochen dieses Lied tatsächlich live hören und sehen würden. Und zwar nicht irgendwo, sondern in der Kneipe, in der wir sowieso jede Woche rumhingen, weil es da so gemütlich war in diesem Garten mitten in der Grossstadt und weil es dort oberhalb der Bar einen Drachen aus Stahl gab, der, wenn der Barmann dies wollte, Feuer über die Köpfe der Gäste spie und weil es da einen Mann mit einem grossen, bösen Hund und einem braunen Koffer gab. Und ausgerechnet dieser Chor der schwarzen Seelen war die letzte Zugabe. Zufälle gibt's, kann man in solchen Momenten eigentlich nur denken und mit den Schultern zucken. Die Zapata-Version dieses Stücks, nur vom Banjo begleitet und mit eindringlicher, gar drohender Stimme vorgetragen, liess uns die Hosen komplett mit Grundeis gehen.

Und eben solch Nackenhaar-sträubende Erlebnisse erwarte ich mir auch von der in Brüssel aufgezeichneten «Live March 2001»-Scheibe. Erstaunlich eigentlich, dass dieser Sound, der nach den Zeiten des amerikanischen Bürgerkriegs tönt, von den hinterlistigen Verführungen des Teufels erzählt, das alte, vergangene Amerika aufleben lässt und von der Eroberung der Wilderness und dem Leben in der Dust Bowl berichtet, hier in Europa auf viel grössere Resonanz stösst als in seinem Ursprungsland. Oder vielleicht auch nicht, ist ja auch egal, Hauptsache, der Pöstler bzw. der Ponyexpress kommt bald mit der Platte!


Interpret: 16 Horsepower, Colorado, USA
Album: Sackcloth 'n' Ashes
Song: Black Soul Choir
Jahr: 1995

Internet: 16 Horsepower, Wikipedia, Woven Hand, Youtube und ein Text über das rote Zürich (PDF, ab Seite 40).

Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: mit schwarzer Seele und Kehle mitsingen!

Artwork: Gegimpte Szene aus dem erwähnten Woven Hand Konzert.








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