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Bebo & Cigala - «Corazón Loco»


SOTW #13-2010

Oye, wie das glitzert


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Heute muss ich ganz entgegen meinem sonstigen Sarkasmus den Kitsch proklamieren.

Kitsch

„[der; vielleicht von mundartlich kitschen, „Straßenschmutz zusammenkehren“]

um 1870 im Münchner Kunsthandel entstandenes Wort, das ursprünglich billigen
Kunstersatz bezeichnete. Heute wird der Begriff abwertend, wenn auch nicht im
Sinn eines absoluten ästhetischen Urteils, dazu benutzt, ein Produkt als pseudo-
künstlerisch als etwas, das „höhere Werte“ nur vortäuscht, zu kennzeichnen. Die
Ausdrucksmittel des Kitschs sind selten originell, wirken häufig grotesk und
appellieren besonders an eine unkritische Aufnahmebereitschaft und den Sinn für
das Modisch-Gefällige. Die Grenze zwischen Kunst und Kitsch ist nicht eindeutig,
u. a. kann Kunst auch durch die Rezeptionsweise verkitscht werden.“
Quelle: Wissen.de


Strassenschmutz also, bzw. unechte Kunst. Opium fürs Volk, das dies unkritisch aufnehmen soll. Kitsch ist also nicht erlaubt, sondern verachtet. So hat sich meine Kollegin Isabelle Badeschlappen gekauft mit dem Kommentar: „Die glitzern so heftig, die klaut mir sicher niemand.“ Selbiges gilt für Musik. Sobald da wer mit Romantik-Schmu ankommt ist er entweder Xavier Naidoo oder Schlagersänger – also unerträglich.


Das Problem mit Schlagern ist, dass er so gefühllos daher kommt. In den 50ern wurden die Lieder mit einer Leidenschaft geträllert, dass einem angst und bang wurde, heute ist Schlager nichts anderes als Popkonserve für Rentner. Und der Musikantenstadel, Top of the Pops für Pensionierte. Also sind wir wieder beim Strassenschmutz angelangt.


Interessant auch, das Kitschverbot gilt nur für deutsches Liedgut, vielleicht weil das Wort in Deutschland entstanden ist? So hat mir mein italienischer Hinternebensitzer bei der Arbeit einige Lieder von Lucio Battisti gezeigt, die sein Mami gerne an ihrem Geburtstag von ihm gehört hätte. Angekündigt das ganze mit den vielsagenden Worten: „weißt du, wenn du den Text verstehst, kommen dir fast die Tränen.“ Mein knapper Kommentar dazu: „ah italienischer Schlager.“ So schnell musste ich noch nie flüchten, und die zwei darauffolgenden Tage sprach er nur knappe Sätze mit mir.


Und doch verfällt man dem Kitsch, verweilt man längere Zeit in den Mittelmeergefielden. Sei es die Luft, die fünfhundert Burgen oder die zwanzig Kathedralen, die man – sprich ich, in Ferien gesehen hat, dies alles kocht einem weich, führt zur oben erwähnten unkritischen Aufnahmebereitschaft und macht einem gefällig für alles was auf einen einplätschert also besonders für den Kitsch. Als ich dann in Ronda bei einem Glas Tinto di Verano (Gspützer Rotwein) sass und mir Bebo y Cigala reinzog, war ich folglich dem ganzen nicht abgeneigt. Und weil Kitsch nahe am Wahnsinn ist hier für euch: Corazón Loco.



Interpret: Bebo & Cigala
Album: Lágrimas Neras
Song: Corazón Loco
Jahr: 2004

Internet: Bebo Valdés, Diego el Cigala


Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: Tinto die Verano trinken, Kunstimitate kaufen, auf der Terasse einen riesen Fisch essen

Artwork: Ronda








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