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Beck - «Modern Guilt»

SOTW #35-2008

Beschränktheit der Masse

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Nur wer Odelay, Sea Change und Mellow Gold von Beck sein Eigen nennt, soll auch sein neues Album kaufen. Der dies sagt, heisst Bill Foxtrott und war so nett, obigen Satz bei CeDe.ch zu hinterlassen. Was sagt mir das? Drei Sachen: 1. Das neue Album von Beck scheint nur ein Fall für Fans zu sein, 2. Bill kennt sich so etwas von gut aus und 3. es gibt Grenzen für die Herrschaft der Massen und hier scheint eine davon erreicht zu sein. Denn: Warum sollte mir Bill vom Kauf dieser CD abraten, was qualifiziert ihn dafür? Ein beliebig wählbarer Name, ein einzelner Satz, hinterlassen als Kommentar in einem Online-Shop. Es gibt keine Person, keinen Diskurs, keinen Kontext. Vieles unterscheidet eine fundierte Kritik von einer Produktbewertung im Internet, obwohl gerade letztere durch ihre Nähe zum Kaufvorgang unter Umständen sogar mehr Wirkung entfalten kann.
Nicht weiter schlimm, denn die Masse ist schlau - so lautet die Antwort des Web 2.0. Die Masse korrigiert, ergänzt, erläutert. Aber wenn man den Verlauf der Menschheit anschaut, dann sieht man vor allem eines sehr deutlich: Die Masse ist in erster Linie dumm.

Web 2.0 funktioniert so lange, wie man es mit einer homogenen Masse zu tun hat: Ehrliche Leute mit ähnlichen Absichten kümmern sich gemeinsam um eine Sache. Wächst die Masse, so bekommt aber auch die Gruppe der Schwarzen Schafe Zuwachs. Jene können entweder mutwillig böswillig agieren oder aber aus reiner Blödheit ehrenhafte Projekte sabotieren. Den böswilligen kann man mit Technik das Handwerk legen, denn sie versuchen, mit möglichst wenig Aufwand den grössten Ertrag zu erreichen und bedienen sich dazu ebenfalls technischen Mitteln zur Potenzierung ihrer Möglichkeiten.

Nicht so die Doofen: In guter Absicht infiltrieren sie das Internet und markieren ihre Präsenz an allen Ecken. Ein Botéllon in Zürich? 454 hinterliessen ihre Meinung dazu auf Tages-Anzeiger.ch – ein Narr, wer alles liest. Ein noch grösserer Narr, wer dann auch noch den 455. Kommentar hinterlässt. Das ist keine Weisheit der Masse mehr, sondern ein Verlust der Selektionsmechanismen einer Branche, die zuvor unter dem Begriff der Medien bekannt war. Oder aber es ist die beste je ausgedachte Masche, um das Proletariat ruhig zu stellen: Es hat das Gefühl, seine Meinung Kund zu tun, beschäftigt sich dabei aber trotzdem nur mit sich selber.

Die Verbindung zwischen einer allgemeinen Web 2.0-Schelte und Bills Ein-Zeiler ist zugegebenermassen etwas sehr locker. Aber hätte ihm vertraut, hätte ich Modern Guilt wohl nicht gekauft. Und damit eines der besten Alben dieses Jahres verpasst – denn auch wenn viele vom Gespann Danger Mouse / Beck nichts geringeres als die Neuerfindung der Musik erwartet haben und enttäuscht wurden: Die Weisheit der kleinen Gruppe hat ein schönes Stück Musik geschaffen.


Interpret: Beck, USA
Album: Modern Guilt
Song: Modern Guilt
Jahr: 2008

Internet: last.fm

Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: Weitere Grenzen der Weisheit der Massen erkennen. Zum Beispiel Ausstellungen: Wer ist besser? Die Kuratorin oder Google Image Search?

Artwork: Flickr-User Daniel Montesinos








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