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Hilight Tribe - «Rhythm Travellers»

SOTW #20-2008

Wenn Hintergrund vordergründig wird

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Ich hatte es mir anders vorgestellt. Ich dachte, es beträfe mich nicht. Ich dachte, es sei nicht direkt mein Problem. Ich dachte, es sei hintergründig. Ich dachte, ich könne ausweichen. Ich dachte, ich komme damit klar. Ich dachte, es wäre einfacher.

Falsch gedacht.

Anfänglich ging es ganz gut. Ich wich den heiklen Themen aus, so wie ich es mir vorgenommen hatte. Ich habe nicht diskutiert, hatte keine Meinung, versteckte mich mal hinter der Schweizer Neutralität, mal hinter der Wissenschaft und von Zeit zu Zeit hinter der Unbetroffenheit. Auf den ersten Blick schien auch alles ganz normal und einfach. Vielleicht ein bisschen anders, aber generell eigentlich sehr vertraut. Doch dann kam der Alltag und das Leben funkte wie so oft dazwischen.

Der Konflikt, oder wohl eher die Konflikte, machen sich nur schleichend bemerkbar. Selten gibt es eindeutige Zeichen oder auffallende Situationen. Viel eher ist der Konflikt stets anwesend, umhüllt die Menschen und Dinge mit einem subtilen Schleier von Ungewissheit, Ausweglosigkeit, Wut und Misstrauen. Dieser Schleicher kreiert eine Latenz, der man nicht ausweichen kann. Früher oder später zieht sie alle in ihren Bann. Sobald man sie bemerkt, scheint sie plötzlich allgegenwärtig. Es ist die intensivste Nebensächlichkeit, die ich je zu spüren bekommen habe. Wer nicht komplett ignorant durchs Leben geht, sieht sich irgendwann gezwungen, wenn nicht mit Worten, so doch mit Gedanken zu jonglieren: Historische Fakten vs. festgefahrene Narrative; Politik vs. Vertrauen; legitime Vorbehalte vs. Rassismus; Säkularisierung vs. Tradition; Sicherheit vs. Freiheit; Recht vs. Gerechtigkeit; Staat vs. Völker vs. Grenzen.

Und da ich mich im jonglieren noch übe, ist zur Zeit Chaos in meinem Gedankenreich anzutreffen. Nichts scheint klar, nichts eindeutig, nichts passt zusammen. Noch nicht. Ãœben macht bekanntlich den Meister und ich hab ja noch ein paar Wochen. Und jetzt zum Punkt der ganzen langen Ausführungen, nämlich zur Musik: In eben erläutertem Gemütszustand ist es sehr schwer passende Musik zu finden. Um ehrlich zu sein, alles geht mir auf die Nerven. Keine Melodie trifft die richtigen Töne und kein Text findet die nötigen Worte. Deshalb habe ich mich in letzter Zeit auf die Rhythmusfraktion der Musik berufen: Perkussion in allen ethnischen Varianten, angereichert mit Bass, Gitarre und hin und wieder ein Didgeridoo. Das ist alles, was ich momentan erträglich finde. Perfektioniert wurde dies von einem französischen Grüppchen - kaum zu glauben - namens Hilight Tribe, welche sich selbst als „the only 100% live trance band“ betitelt. Und so mache ich mich nun als „rhythm traveller“ weiter auf den Weg durch den Nahen Osten, durch ägyptische Wüsten, jordanische Täler und israelische Küsten und hoffe dabei genug in Erfahrung zu bringen, dass das jonglieren wenigstens im Kreise der eigenen Gedanken passabel über die Bühne geht.


Interpret: Hilight Tribe, France
Album: Maha Wave
Song: Rythym Travellers
Jahr: 1999


Internet: Hilight Tribe, MySpace


Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: Gedanken sortieren; bei Vollmond in der Wüste übernachten; die Anschaffung eines Kopftuches in Erwägung ziehen; am Strand Party machen; sich während des work-outs im Haifa University Gym die VH1 Hitparade "France 1998" ohne Ton ansehen (ohni Scheiss).


Artwork: J-Town in Perspektive.





Comments

"die intensivste Nebensächlichkeit, die ich je zu spüren bekommen habe"

Israel ist seit 60 Jahren Pilgerort für Journalisten aller Couleur (und ich habe genügend ihrer Artikel gelesen), aber ich bezweifle, dass je eine zutreffendere Beschreibung des "Matzav" zu Papier gebracht wurde.

Mehr oder minder profund? Diese Woche garantiert mehr.

Toda raba!

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