Little Joy – «Brand New Start»
SOTW #43-2008
Wenn Musiker stricken
Juhu, es ist bald November! – Ähm, ja, ich bin mir durchaus bewusst, dass ich ein inkonsequentes und entscheidungsunfreudiges Wesen bin und deshalb an exakt dieser Stelle in früheren Abhandlungen das Aufkommen dieses Monats und der damit einhergehenden Jahreszeit aufs Äusserste verschmäht habe. Aber glaubt mir, mit diesem Charakterwankelmut habe ich mehr zu kämpfen als ihr, liebe Leser. Also keine falschen Anmassungen hier, bitte. Dem November kann ich nämlich musikalisch und beschäftigungstherapeutisch durchaus was abgewinnen, denn: Bands gehen wieder auf Tour! Das heisst, dass all die übel designten MySpace Seiten der Gitarrenfraktionen von Nord und West förmlich vor Aktivität überquellen und dank aufgeschaltetem Tourkalender jetzt noch unleserlicher sind. Aber dafür können die ja nix. Was soll man auch machen, wenn MySpace einem freie Gestaltungsmöglichkeiten bietet und sich damit von anderen Plattformen abheben möchte, dabei aber nicht bedacht hat, dass nicht alle (lies: eigentlich niemand) über das künstlerische Minimaltalent verfügt, um so eine Seite auch nur annähernd lesbar zu konzipieren. Aber nach eingehendem Studium abertausenden von Seiten navigiere ich mich inzwischen auch auf jenen mit schwarzer Schrift auf schwarzem Hintergrund und 387 geposteteten Youtube Konzertmitschnitten von kameraunfähigen Fans ans Ziel. Wahrer Musikjournalismus halt.
Aber wenn ihr jetzt gedacht habt, dass talentfreie Selbstdarstellung das einzige Hindernis für den Durchblick in der Musikszene darstellt, dann habt ihr euch geschnitten. OK, zugegeben, vielleicht oute ich mich jetzt gleich als Banause, weil ich mich bisher nicht wirklich für die Irrungen und Wirrungen der singenden Mitbürgern interessiert habe. Aber ich war durchaus beeindruckt, als mir bewusst wurde, dass das eine kleine, in sich sehr geschlossene Subwelt darstellt, die sich Produzenten ausspannt, Drummer klaut und ein und fast dieselbe Band unter drei verschiedenen Namen auftreten lässt. Ein Filz der Extraklasse ist das. Sogar Politiker könnten noch was lernen. Deshalb ein kurzer Einblick in die Abgründe.
Also bei den Brits auf der Insel gibt’s zum Beispiel den Zirkel zwischen The Rascals, The Last Shadow Puppets und den Arctic Monkeys. Die leihen sich gerne mal den Sänger aus und irgendwie weiss niemand so genau wer denn nun wirklich in welcher Band spielt und warum. Jedenfalls sind sie alle drei ziemlich gut und einen Abstecher auf Meinplatz wert, wobei ich mich für die Kombi der arktischen Affen besonders aussprechen möchte. Oder waren das jetzt doch die Puppen...? Egal, kommt ja in etwa aufs Gleiche raus. Zumindest weiss ich, dass die Arctic Monkeys mal mit The Coral auf Tour waren. Und die sind ja nun wirklich super. Vielleicht haben die ja den Sänger der anderen drei Bands geklaut. So wie sie das damals mit dem Produzenten von Portishead gemacht haben. Seither sind sie die Carsten Spengemanns unter den englischen Rockbands. (Kann man für unwahre Aussagen in Musikblogs belangt werden? Wenn ja, müssten wir uns mal über unsere Absicherungen unterhalten. Merci.) Und weil sich unbeliebt und noch unbeliebter gerne gesellt, stehen The Coral von Zeit zu Zeit mit Noel Gallagher auf der Bühne. Der hat nämlich für Oasis klammheimlich den Drummer von Robbie Williams mitlaufen lassen. Echt jetzt. Aber da die Tabloids die Gebrüder Gallagher durch die ganzen 90er Jahre hindurch zerkaut hatten, kam die Story beim Königshaus nur mittelmässig an. Ein neues Ziel musste also her und diesmal sollte es ein bisschen umgänglicher sein als die Hochnasen von Oasis. Man entschied sich deshalb für die Variante „Drogen statt Selbstüberschätzung“ und beschattete Pete Doherty, die alte Koksgitarre, sowie sein kleines hausgemachtes Musikbiotop. Darin schwammen eine kurze Zeit mal meine gern gehörten Libertines. Die halten sich nun jedoch aufgrund von Revierengpässen während der Drogenfütterung lieber in getrennten Gehegen auf, auch bekannt als Dirty Pretty Things, Razorlight und Babyshambels. In diesem Sumpf bevorzuge ich definitiv letztere. Von mir aus kann man über den schwarzen Peter sagen was man will, aber ein kleines Genie ist er eben doch. „Shotter’s Nation“ gehört für mich zu den besten Alben des letzten Jahres und dank „There She Goes“ weiss ich wieder, dass das Talent eines Musikers beim komponieren augen- bzw. ohrenscheinlich wird.
Speaking of Sumpf. Da gibt’s ja noch The Strokes. Meine Güte, geht da erst die Verstrickung los... Bei denen hat nämlich auch jeder eine Nadel in der Hand, aber anstatt sich Glückssubstanzen zuzuführen, stricken damit alle fleissig am gleichen Filz. Ich muss ja zugeben, dass ich anfänglich meine Mühe hatte mit den Strokes. Als sie vor lauter Verwunderung, Y2K überlebt zu haben, ihr erstes Album veröffentlichten, wurden sie von allem was Rang und Namen besitzt bis zur Spitze der zu diesem Zeitpunkt einstürzenden World Trade Centers ihrer Heimatstadt gehypt. OK, ich gebe zu, da waren schon der eine oder andere gute Track drunter. „Last Nite“ zum Beispiel hats dann doch recht schnell in meinen Ipod geschafft. Vielleicht lag meine Skepsis auch eher in ihrer schnöseligen Art begründet oder daran, dass die Gallagher Brüder den Zu-cool-für-sich-selber-Award damals im 2001 an die Strokes abgeben mussten. Und dass das dann dazu geführt hat, dass die Garage salonfähig wurde und Coldplay mit samt Chris Martin in die hinterste Ecke katapultiert wurde. Da haben dem armen Herrn auch all seine verkauften Parachutes-Alben keine sanfte Landung gebracht. Zudem haben alle mit dem ausgiebigen Lesen von Neon begonnen, die Röhre ist in Form einer Hose wiederentdeckt worden und H&M produzierte en masse diese Shirts mit Aufdrücken von The Ramones und The Who. Ob das denn nun wirklich alles mit den Strokes zusammenhängt, weiss ich jetzt natürlich auch nicht so genau. Jedenfalls war der Mainstream plötzlich Indie und die Strokes in allen Ohren. Somit also recht cool. Naja, ehrlich gesagt wäre ich das wahrscheinlich auch, wenn mein Vater Chef einer florierenden Modelagentur wäre und ich einen so unwiderstehlich erotischen Namen wie Julian Casablancas tragen würde. Ist euch schon mal aufgefallen, dass dieser an seinen guten Tagen bisschen aussieht wie Adam Green? Deswegen teilen sich die beiden auch ab und zu ein Hotelzimmer und machen dann wilde Kissenschlachten und sprudeln zusammen in Bäder, hab ich gelesen. Hach, Adam Green find ich ja genial. Also wir sprechen hier von so lässig, dass ich Merchandise in Erwägung ziehen würde. Eine Tasse mit Jessica drauf zum Beispiel oder ein Jutesack mit schwarzweiss Gesichtsaufdruck und Buttons. Wegen Adam also und weil „Red Light“ eine ganze Zeit lang mein Lieblingswurm im Ohr war, find ich die Strokes jetzt auch ganz toll. Und Neon lese ich seit meiner neu entdeckten Coolheit auch, genauso wie ich den Hennes gefragt hab, ob Mauritz vielleicht zur Abwechslung mal Julian Casablancas auf ein T-Shirt zeichnen könnte. Kleiner Scherz.
Während der Mann mit Namen in den letzten Jahren aber hauptsächlich damit beschäftigt war, mit den Mitarbeiterinnen seines Vaters auf Tuchfühlung zu gehen (so stelle ich mir das jedenfalls vor) und sich Awards für den erotischsten Namen in Rockpornos verleihen zu lassen, waren seine Bandmembers äusserst aktiv und haben damit ein riesiges Chaos angerichtet. Echt jetzt, da kommt ja keiner mehr mit. Also der Bassist war als Nickel Eye auf Solopfaden unterwegs und hat dabei mit den Yeah Yeah Yeahs kooperiert sowie die feine Stimme von Regina Spektor zu Hilfe genommen. Nicht schlecht. Noch besser und auf vollem Erfolgskurs ist der Gitarrist Albert Hammond, Jr., der unter selbigem Namen als Support von Coldplay auf deren aktuellen Tour zu hören ist. Sozusagen als Wiedergutmachung für den Zwischenfall mit dem Katapult. Anscheinend hat es der angeschlagene Chris aber unbeschadet aus der Ecke geschafft und trällert seither fleissig „Viva la Vida“ durch die ausverkauften Hallen. Jedenfalls ist Albert Hammond voll im Schuss und hat seine Kontakte spielen lassen: keine geringeren als Ben Kweller und Sean Lennon unterstützen ihn auf dem Album. Womit der Link zum oben diskutierten Musikbiotop geschafft wäre, denn Sean arbeitet immer wieder mit der ziemlich talentierten und schönen Irina Lazareanu, ihres Zeichens Busenfreundin von Kate und Pete, zusammen. Irina und Pete sind sogar so dicke, dass sie sich gegenseitig beim Songwriting unter die Arme greifen, wie z.B. bei „La Belle Et La Bête“ zu bestaunen ist.
Aber damit nicht der Strokes letzter Streich. Da gibt’s ja noch den überaus heissen Schlagzeuger Fabrizio Moretti. Der hatte sich zwischenzeitlich mal mit Drew Barrymore vergnügt und als die sich mehr für Charlie und seine Engel zu interessieren begann, hat er sich anderweitig umgeschaut um dann gleich mit seiner neuen Schnalle und dem Sänger der brasilianischen Band Los Hermanos das Ensemble Little Joy auf die Beine zu stellen. Die alle lernten sich komischerweise irgendwie in Portugal und über Devendra Banhart kennen. Ich hab ja gesagt, da blickt keiner mehr durch. Ist aber eigentlich auch egal, denn das Resultat ist grandios, wie ich finde. Die lang ersehnte Seerose im Sumpf, sozusagen. Der Latinotouch von Los Hermanos bringt eine Leichtigkeit, die manchmal fröhlich, manchmal melancholisch klingt. Das Resultat ist ein harmonischer, schlichter und schnuckeliger VW-Büssli-Rock, wie er mir schon lange nicht mehr zu Ohren gekommen ist. Eben so gar nicht grossstadt-chic und gallagher-cool. Man bereut grad damals keine Band gegründet und nie mit dem Gitarrenunterricht angefangen zu haben und möchte Blumen im Haar tragen und durch Kornfelder hüpfen. Die Musik verbreitet einfach Freude und gute Laune. Little Joy halt. Perfekt.
Und was haben wir nun von alldem gelernt? Wahrscheinlich, dass die Summe aller Teile manchmal eben doch schwächer ist als die Einzelteile für sich. The Strokes sind gut. Aber Little Joy ist besser.
Interpret: Little Joy, US
Album: Little Joy (erscheint in den nächsten Wochen!!)
Song: Brand New Start
Jahr: 2008
Internet: Band
Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: Im Morgengrauen durch Felder spazieren und sich auf die ersten Sonnenstrahlen freuen.
Artwork: Lea für SOTW
Comments
Die gute Nachricht: Diesen SOTW gibt es im nächsten Semester auch als Vorlesung am Historischen Seminar für Rockmusik an der Uni Zürich. Immatrikulationen werden ab sofort entgegengenommen.
Posted by: T | 26.10.08 23:47
:) Tschuldigung.
Posted by: Lea | 27.10.08 10:11
Interessant: Little Joy macht nicht nur musikalisch grosse Freude, sondern auch durch die doch ziemlich seltene Tatsache, dass deren MySpace-Seite nicht sofort beim Laden zu trällern beginnt. Sehr schön, das.
Posted by: T | 27.10.08 22:40
wow, wiedermal echt profund - zu razorlight kann ich hier sagen, das sind wohl die backstreetboys unter den gitarrenbands, und zu myspace, ich hasse es, wenn bands die zu faul sind, sich eine anständige website zuzulegen... ich will mehr als nur auf einer bastelecke rumsurfen...
Posted by: Lu | 30.10.08 19:34