Meshell Ndegeocello - «Love Song #3»
SOTW #07-2010
Aller guten Dinge sind drei
Wofür sind Songs gut, wenn nicht um irgendwas in sie hineinzuhören? Und für diese ehrenwerte Tätigkeit eignet sich nichts besser als ein selbsternanntes Liebeslied. Wenn nun eine ganze Trilogie davon auf einem einzigen Album anzutreffen ist, dann geht beim tagträumerischen Retrospektator die Post ab.
«Love Song #1» ist das Verlangen. Das ist die achtzehnjährige Unschuld und die komplette Ignoranz. Der gewachsene Bart und die vermeintliche Weltkenntnis. Das ist grosser Pathos, das ist Liebe, aber vor allem für die Idee. Und manchmal ist das auch schlecht verschleierter Narzissmus. Das ist das Kartenhaus, das zusammenbrechen will, aber nicht ohne sich ein letztes Mal aufzublähen, um seine Bedeutung zu verewigen.
«Love Song #2» ist der Versuch. Das unspektakuläre Scheitern. Das ist die weltliche Seite des Lebens und die unerwartete Reprise einer alten Melodie. Das ist die Erkenntnis: Nicht alles, was sich so anfühlt, wie es sich anfühlen sollte, ist so, wie es sein sollte; und das sollte es auch nicht. Das ist nach dem Mut zum Anfang die zweite Lektion, die Kunst des Beendens.
«Love Song #3» ist die Ruhe. Die gewonnene: nach dem guten Kampf, dem Urknall, dem Aufeinanderprallen von Planeten. Das ist die real existierende Schwerkraft. Das sind Gammastrahlen und gleichzeitig Radiowellen, das ist der um Ultraviolett und Infrarot erweiterte Regenbogen. Das ist der Reiz des Moments und die plötzliche Antriebskraft des Möglichen und des Endgültigen. Das ist die unbeschreibliche Sicherheit der Abhängigkeit. Das ist der Moment, in dem die schöne Spannung widerstandslos Platz macht für die schönere Vorfreude.
*****
Und wofür stehst du, Meshell, unfreiwillige Verfasserin dieser Biographie in drei Akten? Für die Vollständigkeit. Du bist die Alleskönnerin, die erste und letzte deiner Generation. Und Allrounder, wie uns der Schweizer Cheftrainer sagt, wenn er von Carlo Janka schwärmt, werden ja geboren, nicht trainiert.
Dein Talent kannst du dir also nicht als Verdienst anrechnen. Nur: Am Balanceakt zwischen Schubladisierung und Prahlerei sind schon viele gescheitert. Du nicht. Nichts schmeckt besser und ist giftiger ist als die sprichwörtlichen Lorbeeren, und das hast du begriffen.
Deine Diskographie ist erstaunlich: Du entpflückst dem Hip Hop die Schlachtrufe und begräbst den Machismo. Du sagst ja zum Groove und nein zum Loop, dann ja zum Funk und nein zum Disco. Du schockst auf die besondere Art: mit viel Ruhe, tiefer Stimme, und akustischen Gitarren. Grammy-Nominierungen und weissen Journalistenlob quittierst du mit R&B der aggressiven Sorte. Deine Ansage an die Plattenfirmen, als freier Mensch nach Ablauf deines Vertrages, ist ein instrumentales Jazz-Album, auf dem du deine Bassgitarre jemand anderem überlässt. Du flirtest mit Heavy Metal und dann, weil du es eben kannst, auch mit dem furchteinflössendsten aller Genres: Pop.
Und irgendwo dazwischen findet sich dieser Weltraumreggae, so treffend doppeldeutig betitelt und so leicht zu überhören. Das ist Musik, die nichts aufdrängen will. Aber wo die Liebeslieder solche Namen tragen, muss Ehrlichkeit drin sein. Hört genauer hin.
Interpret: Meshell Ndegeocello
Album: Comfort Woman
Song: Love Song #3
Jahr: 2003
Internet: Offiziell, "definitiv", Facebook, MySpace und Last.fm.
Song:
Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: Ähem...
Artwork: iTunes Visualizer™ für SOTW