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Metallica - «Disposable Heroes»

SOTW #10-2007

Mit dem Kopf hören

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Aus der Not eine Tugend machen. Ja, denn ohne Not kommt ja niemand auf die Idee, in den (so halb) eigenen vier Wänden Musik mit dem Kopfhörer zu hören. Ich jedenfalls nicht. Denn will man was zu trinken holen, pissen oder rauchen gehen oder auch nur mal schnell ein Buch vom anderen Ende des Zimmers holen, muss man die Dinger abnehmen und sieht sich beinahe schockartig einer durchdringenden Stille gegenüber. In meinem Zimmer gehört zwar ein äusserst bequemer Sessel mit zur Einrichtung, aber halt leider keine Stereoanlage. Und was die jämmerlichen Laptop-Lautsprecher aus all meiner wunderbaren Musik machen, kann nur als blanke Blasphemie bezeichnet werden. Darum bin ich gezwungen, die Kopfhörer zu benutzen.

Und jetzt nur kurz von wegen Begriffsklärung: Mit Kopfhörern meine ich so kleine Stöpsel, die man sich in die Ohren steckt und nicht die klobigen Dinger mit dem Bügel oben drüber. Lange Jahre bin ich mit diesen Stöpseln im Ohr und meinem Walkman und später meinem MiniDisc-Player in der Jackentasche zur Schule gefahren. Das war toll, ständig gute Musik im Ohr zu haben, quasi um die vorüberziehende Gegenwart gleich mit einem anständigen Soundtrack zu versehen. Das ist mir aber mit der Zeit ein wenig verleidet, denn das Problem ist, dass es sich bei mir um eine äusserst schüchterne Persönlichkeit handelt. Darum habe ich damals im Tram und im Bus immer sehr leise gehört und manchmal, wenn das Gefährt an der Haltestelle hielt und die Geräusche der Räder nicht zu hören waren, habe ich sogar noch ein wenig leiser gestellt, nur um sicher zu gehen, dass ja niemand hört, was ich höre. Dabei leidet natürlich die Klangqualität entschieden, denn ab einer gewissen Lautstärke hört man halt einfach schlicht nichts mehr. Andererseits, wenn man die Kopfhörer nicht im Tram oder im Bus, sondern eben zu Hause montiert, kann man eigentlich viel Spass damit haben, wie ich hier rausgefunden haben, denn plötzlich hört man, was einem sonst eher verborgen bleibt: Wo im Stereoland die Instrumente herkommen bzw. wo sie wohnen.

Und da kommt jetzt Metallica ins Spiel. Metallica ist natürlich nichts für die Leute, die Musik als maximal sekundäres Medium, quasi als Hintergrundelement begreifen und "Musik hören" niemals als ernsthafte Tätigkeit bezeichnen würden. Nun, diesen Leuten kann ich leider nicht helfen, aber wenn man Metallica richtig zuhört, muss man doch zugeben, dass dieser Lärm und dieses Tempo eigentlich völlig durchdacht und strukturiert sind. Ich persönlich höre bei Metallica immer starke Verbindungen zur klassischen Musik, mit den Rhythmus- und Lautstärkenwechseln, den hohen Instrumenten der Solisten, den wiedererkennbaren Motiven und Abläufen. Auch wenn die Jungs als Outlaws, Staatsfeinde und chronische Flatline-Trinker galten, waren sie doch, was ihre Lieder angeht, pedantische Perfektionisten. Dies dankt man ihnen eben genau dann, wenn man sich ihre Musik via Kopfhörer reinzieht: Im rechten Ohr die Rhythmusgitarre und der Bass, links die Leadgitarre und auf beiden Kanälen, genau auf die Mitte des Hirns dreschend, das Schlagzeug. Natürlich kann die Lautstärke bedenkenlos raufgeschraubt werden, da sonst ja niemand die Musik hören kann (ausser den seltsamen Kreaturen, die in meinem Kopf leben, aber die haben mir kürzlich erst wieder versichert, dass sie Metallica besonders mögen). Allerdings muss man aufpassen, dass man sich nicht völlig vergisst und wie wild mitgrölt und -stampft, nur von wegen "hört ja niemand", das gilt nämlich nur für das, was aus dem Kopfhörer kommt und nicht für die Geräusche, die man selbst produziert... Ich möchte mich an dieser Stelle bei meinen Mitbewohnerinnen für die ständigen "back to the front!"-Schreie und bei der Person, die unter mir wohnt für das ständige Gestampfe entschuldigen.

Epilog (von wegen Tram/Bus/Zug und Kopfhörer): Erst viel später habe ich entdeckt, dass es durchaus ein Vorteil sein kann, wenn andere Personen hören, was man selber hört: Falls ihr mal eine Zugreise unternehmt und vermeiden wollt, dass sich irgendwelche Idioten, sprich fremde Leute, zu euch setzten, dann sucht euch in ein leeres Abteil, legt euer Metallica-Kassettli in den Walkman, dreht das "Volume"-Rädchen am Gerät in die Richtung, in der das Dreieck grösser wird. Die Gefahr, dass sich jetzt jemand zu euch setzt, ist verschwindend gering.

Interpret: Metallica, USA
Album: Master of Puppets
Song: Disposable Heroes
Jahr: 1986

Internet: Band, Songtext, Wikipedia, Youtube

Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: Geschirr spühlen, Zug fahren, Tagesschau gucken.

Artwork: Irgendwo in Crissier, West Los Ann.





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Vom feinsten...du sprichst mir direkt aus meinem geplagten pendlerherz!

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