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Nick Cave and The Bad Seeds - «Into my Arms»

SOTW #42-2010

Wenn man seine Stadt wählen könnte

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Ich frage euch, liebe LeserInnen, wenn ihr eine Stadt wäret, welche wär’s?

Keine leichte Frage, finde ich. Da gibt’s so viel zu berücksichtigen – Kultur, Sprache, Klima, Leute, Wasser, Grünflächen, Architektur, Entertainment etc. Vergleiche sind schwierig, jeder Ort hat seine Vor- und Nachteile, seine Ecken und Kanten, seine Eigenheiten, die ihn je nach dem charmant oder unerträglich machen. Jede Stadt hat seine Bewohner und bisher ist mir noch nicht ganz klar, ob die Menschen die Stadt ausmachen oder ob die Stadt die Menschen formt. Intuitiv plädiere ich für Letzteres.

Wahrscheinlich gibt es mehr spezielle, interessante, atemberaubende Städte als derartige Menschen. Ok, ich gebe es zu, ich bin ein Citygirl. Das heisst nicht, dass ich die Natur nicht mag. Im Gegenteil, ich brauche sie genauso wie viele andere. Wanderschuhe und Zelt? Her damit! Krokodile im Dschungel? Verlassene Wüsten? Fincas in der Pampa? Yes, please! Aber neue Inputs, Inspiration, Energie, Phantasie, Leidenschaft und Lebensgefühl erhalte und spüre ich meist doch eher im Wirrwarr vieler Häuser, Strassen und Menschen. Und das vorwiegend, wenn nicht ausschliesslich, im Sommer.

Ich mag es, einer Stadt beim Aufwachen zuzusehen, wenn die Geschäfte ihre Läden hochlassen und es in den Strassen nach Kaffee und frisch gedruckten Zeitungen riecht und das Morgenlicht langsam die geschäftige Welt erhellt. Ich mag es auch, wenn der Tag langsam zu Ende geht, die Sonne sich ein letztes Mal in den Fassaden der modernen Hochhäuser spiegelt, die ersten frisch gezapften Biere über die Tresen gehen, überflüssige Stadtgespräche die Luft füllen und sich Menschen dorthin kämpfen, wo sie sich zuhause fühlen. Ich mag kleine, mit Blumen überfüllte Balkone, die einsam gegen den Strassenlärm demonstrieren. Ich finde den Kampf der Kulturen, wenn tätowierte Gitarrenspieler neben Anzugträgern zu Abend essen, sehr befreiend. Ich liebe jegliche Form von Ufern, denn Wasser gibt mir Halt im Betonmeer. Ich mag grosse Kunstmuseen und kleine Galerien, intelligente Architektur und geschmackvoll eingerichtete Innenräume, Strassencafès und Dachterrassenbars, Secondhandläden und Designermöbelshops. Ich mags, wenn versmogte Fassaden mit mehreren Schichten halb abgerissenen Konzertpostern verklebt sind. Zeugen vergangener, faszinierender Nächte. Trams sind mir sympathisch, genauso wie die unfassbare Geschäftigkeit an grossen Metrostationen. Und am allermeisten mag ich’s, wenn ich eine fremde Stadt erobert habe, wenn ich weiss, wie sie funktioniert, wenn ich sie dazu gebracht habe, die verlorene Tochter aufzunehmen und ich endlich die für mich einheimischste aller Handlungen vollziehen kann: Unterwegs Musik hören.

Und da meine Lieblingsstadt grad Melbourne ist, muss es einfach einmal mehr der unglaubliche Nick Cave sein. Cheers!

Interpret: Nick Cave and The Bad Seeds, Aus
Album: The Boatman's Call
Song: Into my Arms
Jahr: 1997

Internet: Song auf YouTube, Nick Cave and The Bad Seeds

Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: Läden durchstöbern, Kaffee trinken, Läden durchstöbern, Essen, sich bei Architext verweilen, Bier trinken usw. tagelang.

Artwork: Secondhand in Melbourne








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