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Quadrant - «Faithless»

SOTW #1-2009

Mein Freund D. und ich

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Kürzlich vertraute mir mein guter Freund D. unter dem Mantel der Verschwiegenheit an, er habe sich ein iPhone gekauft. "Ein wie bitte? Phone? Was?", entgegnete ich etwas abwesend. "Nicht so laut, du Trampel! Muss ja nicht gleich jeder hören", meinte D. und schaute sich verstollen um. "Ich konnte einfach nicht widerstehen", fuhr er fort, sein Antlitz vor Scham errötend.

Ich war sehr verwundert über das seltsame Gebaren meines Freundes: "Aber D., das... das ist doch wundervoll! Ich freue mich ehrlich für dich! Wer wollte schon kein iPhone besitzen?"

"Wer wollte schon kein iPhone besitzen?", äffte mich D. nach, mit wohlkalkulierter Bosheit. Sein Gesichtsausdruck wechselte von besorgt zu morbid fasziniert. Er blaffte mich an: "Du bist doch normalerweise kein Idiot? Siehst du mich hier ein Rennrad fahren? Befindet sich zufälligerweise eine ironische Brille auf meiner Nase? Rede ich von 'Arbeit' als 'Projekt', trage 'customized' Kleider, besitze ein Plattenlabel?"

Meiner Meinung nach wäre eine ironische Brille für D. ein echter Fortschritt gewesen, modisch gesehen; ich zog es aber vor, auf alle seine rhetorischen Fragen nur zerknirscht mit einem gemurmelten Nein zu antworten. Ich ahnte, worauf er hinaus wollte.

"Nur Trottel haben iPhones. Kretins, die das Trendmagazin abonniert haben. Einfaltspinsel, die auf der Gästeliste stehen. Armleuchter, mit denen sich zu unterhalten keine Lust, sondern Kampf ist, da jede einzelne ihrer Äusserungen automatisch ihre wie auch immer geartete Überlegenheit impliziert. Ich hasse sie und ihr ewiges sich-von-der-Masse-abheben."

Nach diesem emotionalen Ausbruch schien es ihm besser zu gehen: "Aber egal, hier, schau dir mal dieses Programm an: Shazam! Es ist auf meinem beknackten iPhone, aber es erkennt Lieder. Ist das nicht toll?" Ich wiederholte im Geiste noch einmal seine letzten Sätze und überprüfte sie auf Sarkasmus, aber D. schien es ernst zu meinen. "Ich erkenne auch Lieder, aber die meisten Leute finden mich nicht toll", entgegnete ich jovial.

"Humbug. Dein erbärmliches, aufmerksamkeits-defizitäre Gehirn ist ein Witz gegen dieses Teil. Kannst du auf ein Repertoire von vier Millionen Songs zurückgreifen? Bist du in der Lage, nach 30 Sekunden Hinhören ein Lied zweifelsohne zu identifizieren? Shazam ist die Kulmination der musikalischen Taxonomie. Du hingegen, mein Freund, kennst praktisch gar nichts, glaubst aber an deine Exklusivität", schloss D süffisant. Ich fand sein Verhalten reichlich schroff und schaute ihn halb belustigt, halb ungläubig an. Er aber fuhr fort, jetzt gut in Fahrt: "Sehe ich da ein Stirnrunzeln? Du elender Spartiat! Na schön, ich nehme deine Herausforderung an. Der Herr Musiksnob wird sein blaues Wunder erleben! Spiel ein Lied, irgendein Lied." Triumphierend hielt er mir sein Gadget entgegen.

Das Ganze war in der Zwischenzeit etwas aus dem Ruder gelaufen, aber ich war bereit, D's Spiel mitzumachen. Ich fühlte mich durch seine Geringschätzung insgeheim geschmeichelt. Ausserdem schien ihm dieser Punkt sehr wichtig zu sein, normalerweise führten seine Brandreden vom Hundertsten ins Tausendste und selten an ein bestimmtes Ziel. Ich wählte einen mir genügend obskur scheinenden Song aus den Weiten meines Musikspielers und hielt den Kopfhörer an D's iPhone. Vermutlich sah es etwas albern aus, aber wir verharrten geduldig und warteten eine halbe Minute, bis genug Daten gesammelt worden waren. Danach war offenbar noch einmal etwas Geduld gefragt, während der elektronische Heinzelmann still vor sich hin brütete. "Du wirst gleich einen vernichtenden Schlag gegen deinen widerlichen Elitarismus erfahren. Haha! Nieder mit der Monarchie! Es lebe der Mainstream!", stichelte D.

Ich für meinen Teil war ziemlich entspannt, hatte ich doch einen Song ausgewählt, der als Bootleg nicht käuflich erwerbbar war und damit für die Musikkatalogisierer von Shazam wohl inexistent. Nicht ganz fair vielleicht, aber schliesslich hatte D. mit diesem kindischen Unsinn angefangen.

Shazam meldete sich zurück. Er war sich seiner Sache gewiss und präsentierte stolz das Resultat. Ich war erstaunt und erschreckt zugleich. Und gehöre spätestens seit damals auch zum Mainstreampöbel.


Interpret: Quadrant
Album: N/A
Song: Faithless
Jahr: 2005(?)

Internet: Quadrant, Shazam

Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: Sich in Demut üben

Artwork: Dubplate von Flickr user jah fui





Comments

Du hast ein iphone? Imaginäre Kollegen? Exzessive Selbstgespräche? Merci jedenfalls fürs Einspringen.

von allem ein bisschen, und bitte schön (:

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