Roy Andersson «The Silent Song»
SOTW #11-2011
Ruhe bitte!
27° C draussen und ich rette mich in den etwas kühleren Postshop zwecks Packetentgegennahme. Zwar war ich bei der Austragung zugegen, aber mit Plastikgeld kann man bei meiner Pöstlerin noch immer nicht punkten.
Der Shop war düster und in den ersten Minuten musste ich meinen Fokus neu kalibrieren von superhell auf fensterlos. Sonnenbrillen sind mir ein graus, sie geben mir das Gefühl auch in den bekanntesten Gefilden nichts weiter zu sein, als ein Tourist. Ich weiss, die Mode heutzutage hat Sonnenbrillen zum ultimativen Accessoire erkoren, welches auch in dunklen Diskotheken getragen werden darf, aber ich seh den Leuten nun mal gerne in die Augen. Und was soll denn all die Schminke wenn man sie mit Wagenrad grossen Tellern verdeckt? Es handelt sich hier um dasselbe Phänomen wie Parfum tragende Raucher. Soll mit dem Parfum der Rauch überdeckt werden oder mit dem Rauch das Parfum?
Aber Schluss mit Philosophie, ich war also im Postshop, zog ein Nümmerchen und setzte mich zwischen Frauenromane, Billigkochbüchern zum Thema Fingerfood und Natelaboangeboten auf einen der unbequemen Stühle. Die sind deshalb so unbequem, damit man schnell wieder aufsteht, sich die Zeit mit Regalstreunen vertreibt und dann doch noch einen Bleistiftanspizter oder besagtes Kochbuch kauft.
Die Drehtüre surrte, die Neonröhren an der Decke gurrten, der Nümmerchenautomat piepste und die Leute stöhnten vor lauter Hitze. All das nur unterbrochen vom gelegentlichen Dingdong der Reihenfolgetafel. Und mein Nümmerchen wollte einfach nicht erscheinen. Die ganze Aktion wurde langsam etwas anstrengend, und genau da fiel es mir auf. Es fehlte die Musik, sprich Folter der perversesten Art. Die Post schenkt einem nichts, nicht einmal die durch Musik erleichterte Wartezeit. Da muss man durch, wenn man sich mit denen anlegt. Und mit der Post verhält es sich wie mit der Cablecom, früher oder später legt sich jeder einmal mit denen an. Aber welche Musik gehört in den Postshop? Wir sind hier ja nicht bei Abercrombie & Fitch, wo man am Türsteher vorbei zu den tanzenden Bedienungen vordringen muss. Nein, die Post braucht etwas Surreales, Musik, welche die Qual einer solchen Wartesituation unterstreicht. Hier geht es nicht ums Amüsement, sondern um eine Institution, die die Vormachtstellung im Briefeverteilen innehält und ihren Auftrag trotzdem nie sauber erledigt, weil sie sich viel zu sehr auf das Verkaufen von Fremdprodukten konzentriert. Mit grübeln über Musik konnte ich wenigstens die Zeit überbrücken, bis endlich die Tafel wieder bimmelte und die 756 erschien – meine Nummer.
Und als ich dann von der Postbeamtin stand, mein Päckli entgegen nehmen durfte und sie mich fragte: „möchten Sie denn auch noch ein Millionenlösli kaufen?“ hätte ich gerne angefangen zu singen:
Interpret: Roy Andersson
Album: Songs from The Second Floor (O.S.T.)
Song: The Silent Song
Jahr: 2000
Internet: website
Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: Still stehen, nicht bewegen.
Artwork: Lu