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Zongamin – «Bongo Song»

SOTW #19-2010

Wenn die Strasse Geschichten erzählt

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...Den Abend werde ich wohl nie vergessen,
Denn mein Gedächtnis ist oft sehr brutal.
Du riefst: „Auf Wiedersehn“. Ich nickte stumm. – Indessen
Ich wusste: dieses war das letzte Mal.

Das ist eine Nacht für hohe Schuhe, denkt sie sich, als sie noch immer klitschnass und nur mit einem Handtuch bedeckt durch ihr Kleider übersätes Zimmer balanciert. Hohe Absätze und ein dunkelrotes Kleid. So würde sie es machen. So würde der Abend perfekt werden. Wie so oft mit den Mädels. Halb angezogen öffnet sie eine Flasche Weisswein und füllt eines ihrer Brockenhaus Weingläser grosszügig bis zum Rand. Und dann noch einmal. Soviel Zeit muss sein. Aus den kleinen Boxen erklingen japanische Töne. Ein elektronisches Kunstwerk aus dem Schosse des Royal College of Art. Sie dreht die Lautstärke auf. Noch ein bisschen Puder und Parfum, ein kurzer Blick in den Spiegel, ein letzter Schluck Wein, ein Zurechtrücken des Kleides. Geld und iPod in die kleinere Handtasche umbiegen und los geht’s.

Als ich hinaustrat, hingen ein paar Sterne
Wie tot am Himmel. Glanzlos kalt wie Blech.
Und eine unscheinbare Glaslaterne
Stach in die Augen unbekümmert frech.

Einmal Bus, dann Tram und dann wieder Bus. Mit jedem umsteigen werden die Absätze höher, die Röcke kürzer, die Stimmen lauter, die Sprachen vielfältiger. Es riecht nach indischen Essständen, abgestandenem Bier und Abgasen. An einigen Ecken stehen Trauben schöner Menschen, Gelächter ist zu hören. In anderen dunkeln Winkeln der Strasse können alte, betrunkene Männer ihre Schnapsflaschen nicht mehr halten. Es herrscht ein stetiges, unruhiges Treiben. Gehandelt wird wie auf einem arabischen Markt. Doch vor allem liegen Geschichten in der Luft – Geschichten, die das Nachtleben schreibt. Voller Euphorie und Spannung, von Festen und Erfolgen, von Krisen und Niederlagen, von Verlust und Trauer. Diese Strasse ist Zeugin unzähliger beginnender und beendeter Liebschaften, überflüssiger Worte und Dialoge, unzertrennlicher Freundschaften. Pakte wurden geschlossen, Pläne geschmiedet, Differenzen beigelegt oder heraufbeschworen. Die Nächte wurden verklärt und der Morgen schien nie wieder zu kommen.

Ich fühlte deinen Blick durch Fensterscheiben.
Er ging noch manche Strasse mit mir mit.
- Jetzt gab es keine Möglichkeit zu bleiben.
Die Zahl ging auf. Wir waren beide quitt.

Sie öffnete die Türe. Musik drang ihr entgegen – laut und ihm Gleichschlag mit ihrem Herzschlag. Hinten in der Ecke entdeckte sie die anderen. Sie waren ihr Zuhause, ihre Rettung in der Not, ihre Sisters in Crime, ihr Leben. Eine schöner als die andere, waren sie alle schon sehr gut dabei. Wie so oft. Schön verlässlich.

Da lebt man nun zu zweien so daneben...
Was bleibt zurück? – Ein aufgewärmter Traum
Und ausserdem ein unbewohnter Raum
In unserem sogenannten Innenleben.

Aschenputtelgeschichten werden erzählt, Räubertochterreisen geplant, Bücher zitiert, Filme zerrissen, Träume verraten, Kleidertausch organisiert, das andere Geschlecht verhöhnt und gebechert. Zwischendurch fliehen sie vor Schinkenverkäufer der Delikatessa, lernen Musiker aus dem hohen Norden kennen, finden klemmende Velos auf der Strasse, rufen Verflossene und Aktuelle an und lachen sich halb tot.

Das ist ein neuer Abschnitt nach drei Jahren,
– Hab ich erst kühl und sachlich überlegt.
Dann bin ich mit der Zwölf nach Haus gefahren
Und hab mich schweigend in mein Bett gelegt...

Irgendwann hat sie genug und drückt allen einen dicken Kuss auf die Wange. Draussen regnet es und die frische Luft tut gut. Das Pochen ihrer Absätze ertönt im Gleichschritt mit der Musik, die langsam verhallt. Wieder ist es Zongamin, der einmal mehr das Ende der Nacht einläutet. Geübt winkt sie ein Taxi herbei. Der Chauffeur fragt, wie der Abend denn so war. Gut, erwidert sie, sehr gut, sogar und lächelte zufrieden.

Ich weiss, mir ging am 4. Januar
Ein ziemlich guterhaltnes Herz verloren.
– Und dennoch: Würd ich noch einmal geboren,
Es käme alles wieder, wie es war....

Interpret: Zongamin, JP
Album: Bongo Song
Song: Bongo Song
Jahr: 2005
Gedicht: Mascha Kaléko: Das letzte Mal

Internet: Song auf Youtube

Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: Das Nachtleben auskosten, Gin Tonics bestellen, New Point besuchen.

Artwork: Lea für sotw





Comments

tolles leseerlebnis, allerdings finde ich den songtitel beinahe etwas zu wohlfeil für so eine schreibe/dichtung! ;)

Ja, das stimmt eigentlich. Aber ich dachte, im Zuge der Kontraste haltet ihr das aus! ;-)

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