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«Hang Loose» - Das Surf-Special

SOTW #48-2006

California über alles

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Was viele nicht gewusst haben, aber erwiesene Tatsache ist: Ich bin nicht nur ein drittklassiger Schreiber und zweitklassiger Gynäkologe, sondern auch ein erstklassiger Psychiater. Denn, ich habe vor einiger Zeit und nach unzähligen, noch so wahnwitzig absurden Experimenten endlich das wirksame Gegenmittel gegen die Kälte, die der Winter mit sich bringt und die hin und wieder auf äusserst perfide Weise den Weg durch den dicken Mantel zum Gemüt findet und dann auf eben dieses zu schlagen pflegt: Die Surfmusik. Ja, reibt eure Augen Leute, das Christkind kommt und diesmal ist es auf der Suche nach warmen Stränden, schnellen Autos, schweren Wellen und leichten Mädchen. Schaut, was es euch unter den Baum legt:

DAS GROSSE SOTW SURF-SPECIAL!

Ganze 10 Geschenke kriegt ihr vom lieben Onkel, was übrigens genau der Gesamtzahl unserer Leser (inkl. aller Schreiber) im gesamten vergangenen Jahr entspricht. Also für jeden von euch eines! Ja, da seid ihr ganz schön stoked, nicht?

Los geht's mit Duane Eddy, den ich hier wohl nicht näher vorzustellen brauche... da ich nämlich nichts über ihn weiss. Sein «Peter Gunn» dürfte aber zumindest allen Blues Brothers Fans unter der LeserInnenschaft eingängig bekannt sein. Mit seinem in den späten 1950er Jahren entwickelten "Twang"-Stil war Duane Eddy damals für die Surf Musik in etwa das, was Bernard Rappaz heute für die Schweizer Landwirtschaft ist: ein Pionier. Sein wunderbarer «Rebel-Rouser» war ein Hit zu einer Zeit, als die Beach Boys das Wort "Stimmbruch" noch gar nicht buchstabieren konnten und obwohl der Song quasi an der falschen Küste entstanden ist, besass es schon den später typischen Surfsound, zumindest was die fülligen, tiefen und hart gepickten Gitarrenläufe angeht.

Weiter geht's mit einem der absoluten Lichtgestalten. Link Wray and his Ray Men sind schon dabei, ihre PA aufzubauen und werden in kürze loslegen. «Slinky» steht auf dem Programm und damit gleich ein erster Höhepunkt. Gleich einem Big Wave Surfer auf seinem apokalyptischen Ritt durch die Wasserwand schwebt hier die Gitarre über den klassischen Rock'n'Roll Teppich, den Bass, Drums und Piano selbstlos und in tiefer Verneigung vor der Hand des Meisters und seinem Instrument ausbreiten.

Tja, waren wir nach «Rebel-Rouser» langsam aus unserem (prä-)winterlichem Frostzustand aufgetaut, so sind wir nach «Slinky» nun ernsthaft aufgewärmt und somit bereit für den King. Den King of the Surf Guitar nämlich. Dick Dale, dank Tarantino in die cineastische Ewigkeit eingegangen, ist stolzer (selbsternannter) Träger dieses Titels. Seine Spielweise, das schnelle Anschlagen der Seiten, kann als Charakteristisch für das ganze Genre betrachtet werden und soll nach seiner Aussage das Geräusch, das einem beim Durchpflügen einer anständigen Welle in den Ohren dröhnt, simulieren. Da ich Nichtschwimmer bin und panische Angst bekomme, wenn ich im Wasser bin und den Boden nicht mehr spüre, werde ich leider nie auf einem Surfbrett stehen und diese Behauptung überprüfen können. Was allerdings nicht weiter schlimm ist, denn das Dalesche Tremolo klingt auch für Landratten wie mich unglaublich toll, um nicht zu sagen: unglaublich groovy. Banzai!

Und wenn wir den guten Quentin T. schon erwähnt haben, dann wollen wir natürlich auch «Surf Rider» von The Lively Ones in unseren Kanon aufnehmen. Eines der vielen tollen Lieder, die in Tarantinos Filmen zu neuer Funktion gekommen und dabei in alter Blüte erstrahlen dürfen. Zeitlos toll.

1966 produzierte Bruce Brown einen wunderbaren Film mit dem Titel «The Endless Summer». Darin folgen zwei kalifornische Surfer der Sonne und den Wellen rund um den Globus und treffen dabei allerhand exotische Plätze und Menschen. Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass der Film natürlich über einen wunderbar tollen Soundtrack verfügte. Knapp dreissig Jahre später drehte Brown dann quasi noch mal den selben Film, einfach mit zwei jungen Surfern und mit dem Unterschied, dass inzwischen beinahe überall, wo die zwei Jungs hinkamen, das Surfen bereits bekannt war. Natürlich wurde für den zweiten Film auch der Soundtrack neu eingespielt, was uns zu einem ersten Beispiel von aktueller (1994) Surf Musik bringt: Gary Hoey. Wieder mal habe ich keine Ahnung, was dieser Typ sonst so macht (und eine kurze Recherche bringt mich zur Überzeugung, dass dies auch nicht weiter interessant ist), was eh egal ist, Hauptsache wir kennen seine Neuinterpretation des Surf Klassikers «Wipeout». Heavy Metal Surf, kraftvoll und zerstörerisch wie eine Tsunami Welle auf Speed.

Und dann natürlich die Beach Boys. Da könnte ich jetzt wieder mal ausholen, aber ich denke, für heute tun es ein paar wenige Worte. Also: Die Surf Musik ist wie in der Einleitung angetönt das meiner Meinung nach beste (legale) Mittel gegen winterliche Kälte draussen und in uns allen drinnen und die Beach Boys die bekanntesten Vertreter dieses wunderbaren Genres. Nur muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass diese Aussage nur für einen Teil des Werks der Strandjungen gilt. Das heisst, bei Titeln wie «California Girls», «Fun,Fun,Fun», «Surfing USA», «I get around» oder meinetwegen «Barbara Ann» könnt und sollt ihr ohne Bedenken reinhören, da ist nichts als eitel Sonnenschein. Nur, nehmt euch in Acht vor der dunkeln Seite der Beach Boys. Ich weiss nicht, wie ihr das seht, aber «Pet Sounds» (immerhin von mehreren (amerikanischen) Musikzeitschriften zum besten Albums des letzten Jahrhunderts gewählt) halte ich für eine der traurigsten Platten, die mir je untergekommen sind... und traurige Platten sind mein Steckenpferd! "Hä? Die Beach Boys und t-r-a-u-r-i-g?" werdet ihr euch jetzt fragen, aber vergesst nicht, dass das Beach Boys-Mastermind Brian Wilson bei der Produktion der Nachfolgeplatte zu «Pet Sounds» dermassen depressiv und paranoid wurde, dass er die Aufnahmen abbrach und während der folgenden vier Jahre sein Zimmer nicht mehr verliess.

Jan und Dean, das sind gewissermassen die Beach Boys für Arme. Brian Wilson schrieb Ihnen die Songs und liess sie hin und wieder einen Beach Boys Hit covern. Hätten die beiden ihre Platten in Wladiwostok, UdSSR aufgenommen und die dortige Umgebung und Lebenswelt derart idealisierend besungen, die Amerikaner hätten dies unverblümt als Propaganda bezeichnet. Jede Erfindung, jedes (Konsum-)Gut, jede Mode wird in den Liedern der beiden angepriesen. So wird dann im Song «Sidewalk Surfing» auch das in den 1960er Jahren als Kinderspielzeug neu erfundene Skateboard, dass nun das Surfen auf Asphalt möglich werden liess, kräftig beworben (notabene mit der Melodie des Beach Boys Klassikers «Surfing Safari»).

So, und jetzt sagt schön Danke, denn den nächsten Song verdankt ihr meiner lieben Mami. Die Shadows gehören nämlich zu ihren absoluten Helden und «Apache» ist eins ihrer all-time Evergreens. Dabei muss ich jetzt nicht unbedingt erwähnen, dass die Shadows zunächst die Begleitband von Sir Cliff Richards und darüber hinaus (der Adelstitel tönt es bereits an) Engländer waren. Dennoch, eindeutig eine Surfgitarre, die uns Hank Marvin, immerhin einer der ersten Persönlichkeiten in der Geschichte der elektrischen Musik, die mit dem Titel "Gitarrengott" versehen wurden, hier vorträgt. Unter all den Ein- und Ausflüssen, welche die Surfmusik unter ihrem Segel vereinigt, finden sich neben popülären ('Rock'n'Roll') auch ältere und düsterere Vorbilder und ich persönlich höre für mich aus manchen dieser Lieder das ursprüngliche Amerika und seine Einwohner ('Indianer') heraus. Lustig, dass ausgerechnet der Titel eines englischen Liedes auf dieses Erbe hinweist.

Dabei muss ich auch auf die beinahe inzestuösen Verhältnisse, die in diesem (heute wohl leider als ausgestorben zu bezeichnenden) Genre offensichtlich herrschten, hinweisen. Versionen von «Apache», «Wipeout» oder auch «Walk don't run» wurden von so ziemlicher jeder Band eingespielt, die Surf spielte, ins Repertoire aufgenommen. «Walk don't run» stammt ursprünglich, ebenso wie die Melodie der Serie "Hawaii 5-0" von den Ventures. Die Ventures nahmen neben ihren eigenen Songs auch so ziemlich jedes Lied, das nach Strand roch, neu auf. Und zwar immer wieder. So gibt es denn Lieder die «Apache '65» oder «Walk don't run '64» heissen, einfach nach dem Zeitpunkt ihrer Aufnahme. Dennoch, für Einsteiger ist die Anschaffung einer «Best of The Ventures»-Scheibe durchaus zu empfehlen, da sich darauf neben ihren eigenen Hits alle möglichen Klassiker der Surfmusik finden lassen werden.

Auch wenn die Surf Musik in ihrer ursprünglichen Form heute nicht mehr existiert, lebt sie dennoch weiter, hauptsächlich in der Form von Neuinterpretationen in anderen Stilrichtungen. Als Beispiel dafür habe ich für euch ein letztes Schmankerl im Köcher: Die Ramones machen auf ihrer Scheibe «Acid Eaters», wo sie eine Coverversionen-Reise durch die sechziger Jahre des letzen Jahrhunderts unternehmen, auch in der «Surf City» halt. Grossstadtpunk Joey Ramone singt Sonnyboy Brian Wilson, das scheint höchstens auf den ersten Blick bzw. auf den ersten Ton seltsam. Denn so gross ist die Distanz zwischen dem «Rockaway Beach» und dem «Redondo Beach L.A.» gar nicht. Und alles was dazwischen liegt, kann man sowieso getrost vergessen.

So, jetzt aber wahrlich genug gelabert, legt endlich eine Scheibe voller Surfsound ein, atmet tief ein, flätzt euch auf den Boden, bzw. auf den Teppich, der das Zimmer erst so richtig gemütlich macht, drückt auf die Fernbedienung und lasst euch forttreiben. Bis ihr an den Strand gespült werdet.


INFOBOX
Interpret: Duane Eddy
Song: Rebel Rouser

Interpret: Link Wray
Song: Slinky

Interpret: Dick Dale
Song: Banzai Washout

Interpret: The Lively Ones
Song: Surf Rider

Interpret: Gary Hoey
Song: Wipeout

Interpret: The Beach Boys
Song: Alles (bis ca. 1967)

Interpret: Jan and Dean
Song: Sidewalk Surfing

Interpret: The Shadows
Song: Apache

Interpret: The Ventures
Song: Walk don't run

Interpret: The Ramones
Song: Surf City


Artwork: Mein Walkman, kurz nachdem ich ihn repariert habe und kurz bevor ich ihn weggeschmissen habe.





Comments

falls sie, lieber leser, wie ich selbst regelmässig diese website besuchen in der hoffnung, endlich auf einen neuen eintrag zu stossen, muss ich sie leider enttäuschen. meine beiden mitarbeiter befinden sich momentan im streik. wofür bzw. gegen was, ist mir selbst leider auch völlig unbekannt. alles was mir bleibt, ist, sie auf das nächste wochenende zu vertrösten, weil dann endlich wieder ein neuer eintrag erscheinen wird, da ich dann wieder am zug sein werde... vorausgesetzt, ich bin dann nicht auch am streiken. jedenfalls, vielen dank für ihre geduld...

zu tiefst bedauere ich von diesen innerpolitischen und gewerkschaftsangehauchten Missständen in der SOTW-fraktion kenntnis nehmen zu müssen. die problematik eines von herrn h unterstellten, ihm jedoch gänzlich unverständlichen streiks, welchem er sich dennoch aus unmotivierten gründen droht anzuschliessen, ist offenkundig brisant und bedarf einer unverzüglichen ausserordentlichen fraktionssitzung. ich bedanke mich jedoch für die gegenüber ihren lesern sehr transparent gehaltene informationspolitik und hoffe auf eine baldige besserung der verhältnisse. ihnen allen viel erfolg beim streiken. auf dass er bald beendet sei.

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