Tears for Fears - «Sowing the Seeds of Love»
SOTW #05-2006
Morgenstund hat weiss im Ohr
Die Szene ist jedem bekannt: Ein Tram führt an einem grauen Wintermorgen in Zürich in Richtung Central, bevölkert von grau gekleideten Menschen, die den grauen Himmel anstarren und sich nichts mehr wünschen, als wieder zurück im warmen Bett zu sein.
Wer jedoch etwas genauer hinschaut, bemerkt inmitten des öden Graus zwei kleine Lichtflecken - genauer gesagt, weisse Flecken - je eins im linken und im rechten Ohr dieses Schreiberlings, der nämlich auch im Tram sitzt. Ich also. Und die Flecken, nun ja, die sind natürlich meine iPod-Kopfhörer.
Was als grauer Morgen begann, wird, dem Shuffle-Modus meines iPods sei Dank, innert Sekunden zu einem dieser ganz seltenen, aber umso besonderer musikalischen Ereignisse: Die Wiederentdeckung eines Lieds, dass bei mir seit Jahren in Vergessenheit geraten war. Und den Anfang macht ein wirres kurzes Schlagzeugsolo.
So beginnt nämlich «Sowing the Seeds of Love», das Meisterwerk von Roland Orzabal and Curt Smith alias Tears for Fears. Das Lied wimmelt von roher Kreativität, die sich mühelos gegenüber der leichten Ãœberproduktion durchsetzt, sowie - verzeiht den Kitsch - positiver Energie. Letztere mag ja nicht jedermanns Sache sein, aber nichts weckt einen abgestellten Jonathan besser auf als, ähm, aufgestellter Sound. Zwei Männer, die in einem Meer von Trompeten, Gitarren, treibender Perkussion und allen möglichen Stimmlagen den Hörer auffordern, zu lieben ("Without love and a promised land/We're fools to the rules of a government plan!") - hoho! Wie kann man da noch dösen!
Kaum im Büro angekommen und voller Dankbarkeit für die unerwartete Rettung meines Morgens, realisiere ich, dass ich nichts mehr von Tears for Fears gehört habe, seit ich die beiden als achtjähriger MTV-Junkie das letzte Mal im TV sah. Die Spur führt zu Wikipedia, und dort zum Schocker: «Sowing the Seeds of Love» säte anno 1991 keine Liebe, sondern grosse Zwietracht zwischen Orzabal und Smith. Zehn ganze Jahre dauerte es, bis sie wieder zueinander und sich selbst fanden.
Anders als die Band jedoch hat der Song keine Durchhänger. Noch beatlesquer als sein Onkel aus den Sechzigern («Magical Mystery Tour») wartet er innerhalb seiner sechs Minuten mit so manchen Ãœberraschungen auf, so dass man danach das ganze gleich von vorne beginnen will. Und wenn man sich dazu noch an das Video (mit all den Sonnenblumen) erinnern kann, ist die morgentliche Aufputschsession komplett.
Abends sitze ich wieder im Tram, iPod im Ohr und «Sowing the Seeds of Love» angewählt. Nur: Dieser Song ist nicht fürs Entspannen gedacht. Und das ist auch gut so, sind es doch meist die Lieder, die man eben nur in gewissen Situationen hören mag, denen man auch lange treu bleibt.
Wie «Sowing the Seeds of Love» so viele lange Jahre in den Abgründen meines iPods in völliger Vergessenheit vor sich hin vegetieren konnte, ist mir schleierhaft. Doch eines ist klar: Mein Rezept gegen die graue Morgenmüdigkeit ist gefunden.
Interpret: Tears for Fears, UK
Album: The Seeds of Love
Song: Sowing the Seeds of Love
Jahr: 1989
Genre: Pop
Internetlink: www.tearsforfears.net
Artwork: stock.xchng user loopack
Comments
Also wenn das genannte Lied nur halb so schrullig ist wie die Website der Band, muss das schon ein ziemlicher Hammer sein. Dir, lieber Jonathan, würde ich anraten, nicht zu oft Tears for Fears zu hören. Das scheint seltsame Folgen haben zu können.
Posted by: Kathrin | 2.02.06 11:13