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The Big Pink - «Velvet»

SOTW #04-2010

Wenn in der Industrie Musik erklingt

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Seit drei Wochen sitze ich nun hier und schaue aus dem gleichen Fenster. Alles ist weiss, der Schnee hat sich bisher nur selten verzogen. Auf der S-Bahn-Brücke rasen im Viertelstundentakt die Züge vorbei, das kleine Bächlein wirkt gekünstelt und der mickrige Spielplatz der hauseigenen Kinderkrippe versprüht auch nicht gerade das volle Leben, obwohl die knallrote Rutschbahn wirklich ihr Bestes gibt. Hinter der Brücke bahnen sich vier grosse Krans ihren Weg in den Himmel. Ich sehe sie, was bedeutet, dass es ein guter Tag ist, weniger Nebel als sonst. Noch fast in Sichtweite solls ein stadt- bzw. dorfbekanntes Puff geben, die Bumsalp. Das Feierabendbier nimmt man trotzdem lieber im „Level“ zu sich. Inmitten von Möbel Pfister und Co. spielt da nämlich ein altes Männlein schnulzige Lieder am Piano und betont damit die endlose Trostlosigkeit dieses Industriegebietes. Doch eines muss man dem Niemandsland lassen: Sie haben eine Bushaltestelle namens Memphis. Wirklich. Tag für Tag darf ich nun an Memphis vorbeifahren, wer hätte das gedacht. Genau diese Absurdität der Szenerie macht das Ganze hier letztendlich erträglich und manchmal sogar liebenswert.

Damit ich diesen „Industrial Chic“ meines Arbeitsweges auch richtig fühle, habe ich in den letzten Wochen nach passender musikalischer Untermauerung gesucht. Die Musik soll die Melancholie und Wintertristesse aufnehmen und potenzieren, so dass ich mich genüsslich darin suhlen kann. Gleichzeit soll sie diese erträglich machen. Pathetisch und intensiv darfs sein und ab und an auch etwas dröhnen. Die Musik muss einem das Gefühl von Geborgenheit in der Einsamkeit vermitteln, den Kopf von all den Arbeitsgedanken frei machen und den Schalter zum Durchatmen auslösen. Sie soll Beginn und Ende des Tages gleichwohl einläuten und beruhigend und zugleich ermutigend wirken. Ich spreche von durchdringend wie Muse, schwermütig wie Madrugada, dramatisch wie Hard-Fi, elektronisch wie MGMT und britisch wie Morrissey.

Natürlich bin ich fündig geworden und habe The Big Pink zur Industrieband meines Vertrauens ernannt. Ein Elektrorock-Duo aus England, das im September letzten Jahres ihr Debütalbum veröffentlicht hat und damit A Brief History of Love erzählt, stellenweise sehr traurig, aber durchaus hörenswert. Der Song Velvet hats mir besonders angetan und wenn Robbie Furze (so heisst er leider wirklich) nach zweieinhalb Minuten mit voller Wucht in die folgende Strophe einsteigt, dann ist nicht nur das Liebesleben so vieler Mittzwanziger auf den Punkt gebracht, sondern ein weiterer Tag im Industriegebiet veredelt:

These arms of mine
Don’t mind who they hold
So should I maybe just leave love alone
You call out my name for the love you need
But you won’t find it in me.

Interpret: The Big Pink, GB
Album: A Brief History of Love
Song: Velvet
Jahr: 2009

Internet: Myspace, Velvet on Youtube, Band Website

Empfohlene Tätigkeit beim Hören dieses Songs: Durchs Niemandsland laufen.

Artwork: Lea für sotw








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